Profildichtung – Lippendichtung – Fließgrenze

Die Fließgrenze einer Probe ist die minimale Spannung, ab der eine Probe aus der Ruhe zu fließen beginnt oder aus der Bewegung heraus sich nicht weiter ausbreitet. Wie wird sie gemessen?
Fließgrenze Fliessgrenze Profildichtung Lippendichtung

Inhaltsverzeichnis

Worum geht es in diesem Artikel?

In diesem Artikel wird die rheologische Messung der Fließgrenze diskutiert. 

Profildichtung – Lippendichtung

Sie dient dazu, dass keine Probe austritt bzw. schützt die Probe vor ungewünschten Eintritt von Fremdmaterial. Die Lippendichtung soll jedoch Probe durchlassen, sobald der innere Druck sich ändert.

Hierzu ist es notwendig, dass die Dichtkraft, mit der die Profildichtung gegen die Dichtfläche drückt, zur Fließgrenze passt.

Im Allgemeinen ist bei einer kleinen Fließgrenze und großer Dichtkraft die Möglichkeit gegeben, dass Probenmaterial durch die Profildichtung austreten kann, im Besonderen bei mangelnder Oberflächengüte z.B. durch Verschleiß. Hier bilden sich Unebenheiten aus, durch die dann Probenmaterial austreten kann.

Schließt eine Profildichtung zu dicht also mit zu viel Kraft und ist die Fließgrenze zu klein, dann muss, um Probenmaterial aus einer Tube auszudrücken, viel Druck ausgeübt werden. Dadurch spritzt plötzlich zu viel Probe aus der Öffnung.

Ist die Fließgrenze passend zur Dichtkraft, so kann die Probe bei minimaler Druckerhöhung austreten.

Ist die Fließgrenze groß und die Dichtkraft klein, so muss zum Austragen von Probenmaterial diese Fließgrenze überwunden werden. Es ist jedoch dabei darauf zu achten, dass über die Profildichtung Fremdmaterial in die Probe eindringen kann. Weiterhin muss hierbei beachtet werden, dass, wenn die Fließgrenze deutlich über der Dichtkraft der Profildichtung liegt, es zu keiner stoffschlüssigen Dichtung über die gesamte Dichtfläche kommen kann, da Probenmaterial auf der Dichtfläche nicht durch die Profildichtung verdrängt wird.

Die Auslegung von Profildichtungen im Zusammenhang mit der Fließgrenze einer Probe muss somit immer unter diesen Aspekten optimiert werden. Dieses wird i.A. durch die Auslegung des Profils der Dichtung im Zusammenhang mit der Anwendung erfolgen.

Fließgrenze

Die Fließgrenze einer Probe ist die minimale Spannung, ab der eine Probe aus der Ruhe zu fließen beginnt oder aus der Bewegung heraus sich nicht weiter ausbreitet.

Sie wird in manchen Teilen der Industrie auch in Verbindung mit dem Ausbreitmaß verwendet.

Auf einer ebenen Fläche breitet sich Farbe, Emulsionen, Honig oder Beton bis zu einer Grenze aus. Wasser hingegen benetzt die ganze Fläche bis die Oberflächenspannung ein weiteres Ausbreiten verhindert.

Voraussetzungen für die Messung

Bei diesen Ausführungen wird vorausgesetzt, dass das verwendete Viskosimeter die notwendigen Messdaten in sehr kurzer Messzeit – im Bereich unter 1 Sek – ermitteln kann, dass die Proben homogen, nicht reaktiv und im thermischen Gleichgewicht sind und eine DIN-Messgeometrie verwendet wird.

Auch muss berücksichtigt werden, dass je länger die Messzeit für einen Messpunkt gewählt wird, die Probe sich während dieser Messzeit verändert. Das führt zu einer Messung, bei der sich die innere Struktur – die man ja eigentlich untersuchen will – während der Messung je Messpunkt bereits verändert. Meistens wird dann die Fließgrenze mit deutlich kleineren Schubspannungswerten bestimmt als bei Messungen mit kurzen Messzeiten je Messpunkt.

Bestimmung der Fließgrenze

Rheologisch kann die Fließgrenze – in der Rotationsrheologie – durch zwei unterschiedlichen Messarten – schubspannungs- oder schergeschwindigkeitsgesteuert – bestimmt werden. Siehe hierzu auch: DIN SPEC 91143-1; Moderne rheologische Prüfverfahren – Teil 1: Bestimmung der Fließgrenze – Grundlagen und Ringversuch.

  • schubspannungsgesteuerter Versuch

Hierbei wird die Schubspannung t vorgegeben, die Messgeometrie wird so weit aus der Ruhelage ausgelenkt bis die vorgegebene Schubspannung erreicht wird.

So lange die Probe noch nicht ins Fließen kommt, sind die resultierenden Auslenkungen sehr gering. Sobald die Probe fließt, ist der Anstieg der Auslenkungen um ein Vielfaches höher.

Die Probe ist zunächst in Ruhe und kommt in Bewegung, ins Fließen.

Typische Vorgaben für solch einen Versuch sind: 0,01 < t < 100 Pa, in log. Verteilung mit 300 Messpunkten in 3 min.Bei einer Probe – mit Fließgrenze – erhält man dann z.B. folgendes Ergebnis:

Fließgrenze Fliessgrenze
Abbildung 1

Nach der Messung kann durch das Anlegen von zwei Ausgleichsgeraden der Schnittpunkt dieser Geraden bestimmt werden. Dieser Schnittpunkt markiert die Fließgrenze also die Schubspannung, bei der die Probe ins Fließen kommt.

Profildichtung
Abbildung 2

Bei dieser Messung bei ca. 20 Pa.

Zu erkennen ist bei einer solchen Versuchsdurchführung auch, dass die Probe nicht spontan ins Fließen kommt, sondern es einen Übergangsbereich gibt. Dieser Übergangsbereich ist nicht nur von der Probenstruktur abhängig, sondern auch von der Messzeit je Messpunkt. Das bedeutet, dass eine solche Messung mit unterschiedlichen Messpunktzeiten durchgeführt werden muss, um so die unterschiedlichen Einflüsse auf die Fließgrenze feststellen zu können.

  • schergeschwindigkeitsgesteuerter Versuch

Hierbei wird die Schergeschwindigkeit  vorgegeben und es wird eine Fließkurve aufgenommen. Anschließend wird – nach einem rheologischen Modell – berechnet, bei welcher minimalen Schubspannung die Probe ins Fließen kommt. Die Probe ist bei dieser Messart immer in Bewegung, der Messkörper rotiert immer.

Typische Vorgaben für solch einen Versuch sind:

0,001 < rho_pkt < 100 s-1, in log. Verteilung mit 6 Messpunkten pro Dekade und einer Messzeit pro Messpunkt von max. 5 Sekunden.

Bei einer Probe – mit Fließgrenze – erhält man dann z.B. folgendes Ergebnis:

Lippendichtung
Abbildung 3

Unterschiedlich lange Messzeiten je Messpunkt beeinflussen den ermittelten Schubspannungswert und somit die Bestimmung der Fließgrenze.

Bei dieser Versuchsdurchführung erfolgt die Bestimmung der Fließgrenze mathematisch durch das Fitten der Messpunkte mittels eines rheologischen Modells für den Anfangsbereich der Messung.

Die hierzu verwendeten rheologischen Modelle sind z.B. BINGHAM, CASSON oder HERSCHEL-BULKLEY.

Aus diesen Modellen kann jeweils eine Fließgrenze errechnet werden.

Aus den in Abbildung 3 dargestellten Messpunkten ergeben sich somit folgende Fließgrenzen:

Fließgrenze nach BINGHAM

Abbildung 4: Fließgrenze nach Bingham 2836 Pa

Fließgrenze nach CASSON

Abbildung 5: Fließgrenze nach Casson 1788 Pa

Fließgrenze nach HERSCHEL-BULKLEY

Abbildung 6: Fließgrenze nach Herschel-Bulkley 1,51 Pa

Die Fließgrenzen sind unterschiedlich, da jeweils ein anderes rheologisches Modell und damit eine andere Fließeigenschaft bei der Auswertung der Messpunkte zugrunde gelegt wird.

Weiterhin unterscheiden sie sich deutlich von der schubspannungsgesteuerten Messung da die Messergebnisse hierbei immer aus der Bewegung ermittelt werden.

Fazit

Die Bestimmung der Fließgrenze einer Probe kann eindeutig nur durch eine schubspannungsgesteuerte Messung erfolgen. Unter gleichen Randbedingungen durchgeführte schergeschwindigkeitsgesteuerte Messungen ergeben eine vom verwendeten rheologischen Modell abhängige Fließgrenze.

Anwendungsbeispiele

Der Grund für die Bestimmung der Fließgrenze kann unterschiedlich sein. So zum Beispiel möchte man wissen

  • bei welcher Drehgeschwindigkeit einer Walze die Farbe von der Rolle spritzt.
  • ob und wann es zu „Nasenbildung“ bei der Verarbeitung kommt.
  • wieviel Kraft benötigt wird, um eine Probe aus einer Tube zu pressen oder durch eine Spritze zu applizieren.
  • wie weit eine Ausgleichsmasse nur unter Wirkung der Schwerkraft fließt und wie gleichmäßig die Schicht wird.
  • wie dünn man eine Bohrung ausführen kann und dennoch Material in den Kanal fließt.

Für den Inhalt verantwortlicher Autor:

Lothar Gehm

Dipl.-Ing.
Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für:

„Zähflüssige und fließende Werkstoffe (Rheologie)“